Der
Wunsch der Herausgeber von "Natur und Schule", ihren
Lesern Berichte über Beobachtungen und
Unterrichtserfahrungen auf den vielen verschiedenen
Gebieten der Naturwissenschaft zu bieten, veranlasste
mich in den Jahren 1905/06, geologische Ausflüge zu
beschreiben und Mitteilungen über meinen
mineralogischen Unterricht zu veröffentlichen. Ich
hatte mich aber lange schon mit dem Gedanken getragen,
einen geologischen Führer für Heidelberg und
Umgebung zu schreiben, der zugleich als
volkstümliche Einführung in die Hauptfragen der
Erdgeschichte dienen konnte. Der Plan nahm festere
Gestalt an, als ich mit Richard Quelle, damals noch
Vertreter des Verlags Julius Klinkhardt, persönlich
bekannt wurde. Bei einem Besuch, den er mir im September
1906 in Heidelberg machte, entwickelte ich ihm meine
nächsten Absichten und er sagte mir jede
gewünschte Förderung zu.
Ich
hatte zehn Jahre lang geologischen Unterricht erteilt und
unablässig an der besten Verwertung der
Lehrausflüge gearbeitet. Was lag näher, als
diese Erfahrungen in einem illustrierten Führer
zusammenzufassen? Ein erster Entwurf, der die Grundlinien
des Büchleins, insbesondere die Reihenfolge der
Exkursionen festlegte, war bald geschaffen. Auf
zahlreichen Exkursionen, die den für den Text
nötigen Einzelbeobachtungen galten, wurden von zwei
Primanern, Schröder und Kögel, auch die
Aufnahmen gemacht, die als Bilder beigegeben werden
sollten. An Ostern 1907 begann ich mit der Niederschrift
des Texts und der Ausarbeitung der Kartenskizzen. An
Weihnachten lag das Buch in den Schaufenstern der
Heidelberger Buchhandlungen. Verfasser und Verlag konnten
mit dem Erfolg zufrieden sein.
Bei
der Begegnung mit Quelle war auch der Plan eines
Lehrbuchs der Mineralogie und Geologie erörtert
worden, das ich für die Oberklassen der
Realanstalten schreiben wollte. Im Dezember fragte dann
Quelle an, ob ich bereit sei, im Anschluss an das
Schmeil'sche Unterrichtswerk eine Geologie für
Mittelklassen zu übernehmen. Die Mineralogie werde
der Seminarlehrer Haase beisteuern, der Gesamtplan
könne in den Weihnachtsferien bei Schmeil in
Wiesbaden besprochen werden. Ich hatte keine Lust, die
mir zugedachte Aufgabe zu übernehmen, da die
Geologie ihrer ganzen Struktur nach aus dem Rahmen der
Naturgeschichte herausfiel. Wenn ich mich an einem
solchen Unternehmen beteiligen sollte, kam für mich
nur die Mineralogie in Frage. Hier handelte es sich, wie
bei der Tier- und Pflanzenkunde, um Einzelobjekte, und es
reizte mich sehr, meine Lehrerfahrung an einer
Naturgeschichte der Steine zu erproben, die auch
jüngeren Schülern verständlich
wäre.
Über
die Gliederung des Ganzen und die Form der Darstellung
war ich mir bald klar geworden. Ich musste die zur
Beschreibung ausgewählten Mineralien einem leicht zu
überschauenden System einordnen, und ich musste bei
der Schilderung ihrer Eigenschaften die Eintönigkeit
zu vermeiden suchen, die bisher die Leitfäden so
ungeniessbar machte. Weniger deutlich war mir, wie ich
eine ernsteren Anforderungen genügende Mineralkunde
zustande bringen sollte, ohne geometrische, physikalische
und chemische Vorkenntnisse in Anspruch zu
nehmen.
Im
Frühjahr 1908 begann ich mit Versuchen, eine
geeignete Methode für die Entwicklung der
kristallographischen Grundbegriffe zu finden; einen
systematischen Lehrgang voranzuschicken, wie das
ausnahmslos auch in Schulleitfäden üblich war,
kam nicht in Frage. Aber ebensowenig konnte ich die
Kristallographie auch nicht einfach weglassen, weil man
sie - nach dem sachkundigen Ausspruch eines
Pädagogen - später doch nicht mehr brauche. Die
beste Lösung schien mir zu sein, die Kristallformen
nach und nach an einzelnen Mineralien zu erläutern
und die Schwierigkeiten dadurch in angemessener Weise
über das ganze Buch zu verteilen. An Kristallen von
Alaun oder Schwefel konnten die Grundbegriffe der
Symmetrie abgeleitet werden, an Bleiglanz, Flussspat,
Schwefelkies, Zinkblende konnte ich die regulären,
an Quarz und Kalkspat die hexagonalen Formen, an anderen
Mineralen die übrigen Kristallsysteme
erläutern. Nur durfte das nicht auf die abstrakte
Weise geschehen, die in den wissenschaftlichen
Lehrbüchern üblich ist. Es musste ein Weg
gefunden werden, die jungen Benützer des Buchs zu
einer unmittelbaren, handgreiflichen Beschäftigung
mit den Kristallformen anzuleiten. Mit Modellen aus
Kartoffeln und Rüben oder Schweizerkäse ging es
nicht. Endlich kam ich darauf, Plastilin zu
benützen. Damit pflegten meine Kinder allerhand
Dinge zu kneten, und ich war oft genug ihr Spielgenosse
gewesen, der Wundermann, der die kühnsten
Wünsche zu befriedigen hatte. Ich brauchte für
meine Modellierversuche nur Würfel oder
säulenförmige Körper als Ausgangsformen zu
wählen, um daraus durch entsprechende Schnitte alle
Kombinationen und zum Schluss die pyramidalen Formen zu
gewinnen. Die Lösung war gefunden, die Vorschriften
für die Führung der Schnitte konnten durch eine
Folge von Zeichnungen auch für Ungeübte leicht
verdeutlicht werden.
Vier
Jahre später erklärte mir der Modellschreiner
Franz Nowak in Wien, dass die von mir gefundene Methode
keine andere sei, als sie von je her zur Anfertigung von
Holzmodellen angewandt werde.
Mit
der Chemie hatte es auch seinen Haken. Ich konnte keine
chemischen Vorkurs vorausschicken, und doch war es
unmöglich, über Sulphide, Oxyde, Salze zu
reden, ohne von einigen grundlegenden chemischen
Erfahrungen und Begriffen Gebrauch zu machen. Ich half
mir damit, dass ich an geeigneten Stellen einfache
Versuche beschrieb, und zwischen die Beschreibung der in
der Natur vorkommenden Grundstoffe und die der
zusammengesetzten Mineralien einen kurzen Abschnitt
einfügte, in dem ich die wichtigeren Elemente mit
ihren Zeichen anführte und das Wesen der chemischen
Verbindung kurz erläuterte.
Die
grösste Mühe machte mir die Beschaffung der
Abbildungen. Sie durften sich nicht auf
Kristallzeichnungen beschränken, wie dies sonst
üblich war. Ich wollte auch Habitusbilder von
Mineralen in den Text einschalten und eine Anzahl von
Farbentafeln beigeben, um das Buch der Schmeilschen
Botanik und Zoologie anzugleichen. Aber wieviel leichter
war es doch, die klar umrissenen Formen von Pflanzen und
Tieren zeichnerisch wiederzugeben, als von Mineralgruppen
klare, richtige und technisch einwandfreie Bilder
herzustellen! Der einzige Weg, der sich als geeignet
erwies, war die Herstellung von Photographien, auf denen
ich mit Pinsel und Tuschfeder die Kontraste
verstärkte und Einzelheiten einzeichnete.
Die
Arbeit mit den Kristallzeichnungen glaubte ich dadurch
erleichtern zu können, dass ich meine
Bleistiftskizzen durch einen Zeichenlehrer in Tusche
nachzeichnen liess. Aber die Proben waren völlig
unbrauchbar. Schliesslich übernahm die Graphische
Anstalt von Hubert Köhler die Herstellung der
Druckstöcke.
Noch
viel mehr Schwierigkeiten waren bei den farbigen Tafeln
zu überwinden. Hier hatte ich mit den Launen und dem
Eigensinn des Zeichenlehrers einen endlosen Kampf zu
führen. Im Juli 1909 konnten die Tafeln endlich
einer Kunstanstalt übergeben werden. Ich dankte
Gott, als im Frühjahr 1910 endlich das erste
Exemplar des mit soviel Mühe und Arbeit beladenen
Buchs in Händen hielt.
Drei
Jahre später hatte ich eine kleinere Ausgabe des
Buchs zu bearbeiten, die nur noch drei farbige Tafeln
enthielt. Im Jahre 1920 erschien die zweite Auflage des
Leitfadens, ohne die farbigen Tafeln und auf schlechtem
Druckpapier, wie es der Zeit entsprach. Der Text wurde
einer weitgehenden Umgestaltung unterzogen, insbesondere
ein allgemeiner Teil vorausgeschickt.
Wenn
ich gehofft hatte, durch das Buch einem
mineralogisch-geologischen elementaren Unterricht in den
Höheren Schulen die Wege zu ebnen, so muss ich heute
sagen, dass ich mich weltfremden Illusionen hingegeben
habe. Stundenpläne und Lehrgegenstände werden
nicht durch Bücher bestimmt, und wenn der Segen von
oben, d.h. die Genehmigung der Behörde fehlt, ist
alle darauf verwandte Arbeit verlorne
Liebesmüh.
Im
Oktober 1908 fragte Prof. W.H. Hobbs in Ann Arbor, den
ich bei V. Goldschmidt kennengelernt hatte, bei mir an,
ob ich bereit wäre, eine deutsche Bearbeitung seines
Erdbebenbuchs zu übernehmen. Der Verlag Quelle und
Meyer erklärte sich mit der Herausgabe des Werks
einverstanden, und so konnte ich zu Anfang des Jahres
1909 an die Übersetzungsarbeit gehen. Mein eigener
Beitrag zu dem Buch war ein Bericht über das
kalabrische Erdbeben vom 28. Dezember 1908, das an
Furchtbarkeit der Wirkungen alle sonst bekannten Beben
übertroffen hat.
Im
Oktober 1909 ersuchte mich J. Norrenberg, damals
vortragender Rat im Preussischen Kulturministerium,
für eine von ihm geplante Sammlung moderner
Handbücher die Methodik des
mineralogisch-geologischen Unterrichts zu schreiben. Ich
sollte unbeschränkte Zeit für die Ausarbeitung
des Werks erhalten. Es war noch eine ganze Reihe von
ähnlichen Werken für die übrigen Zweige
der Naturwissenschaft geplant und die mir
übertragene Arbeit war weniger dringlich als andere.
Konnte ich einen Auftrag ablehnen, der mir Gelegenheit
gab, die reichen Erfahrungen von zwölf Jahren und
meine ganze Begeisterung für die beiden so eng
verschwisterten Wissenschaften in einem für die
Schule Richtung gebenden Buche festzuhalten?
Meine
äusseren Verhältnisse hatten noch nicht die
letzte entscheidende Wendung genommen. Ich hatte nach dem
Tod meines Schwiegervaters aber einen einjährigen
Urlaub erhalten, um den Druck eines von ihm
hinterlassenen Werks durchzuführen. Hätte ich
voraussehen können, dass ich noch zehn Jahre lang
über Krankheit, Weltkrieg und Revolution hinaus an
diesem Buch zu tragen haben würde, so wäre mir
durch die Ablehnung des Auftrags viel Mühen und
Sorgen erspart geblieben. Ich sagte zu, und hielt mich an
mein Wort auch dann gebunden, als ich mich ohne grossen
Widerstand der übernommenen Verpflichtungen
hätte entziehen können. Ein
Alemannenschädel gibt nicht nach, auch dann nicht,
wenn er sich dabei zugrunde richtet.
Über
die Gesamtanlage des Buchs kam ich leicht ins Klare. Die
konnte ich mir auf Spaziergängen in den Heidelberger
Wäldern überlegen. Mit Reden über den Wert
des mineralogisch-geologischen Unterrichts und andere in
didaktischen Handbüchern üblichen Betrachtungen
brauchte ich mich nicht aufzuhalten. Wesentlich war, die
Auswahl und Darbietung des Unterrichtsstoffs für die
verschiedensten Altersstufen an praktischen Beispielen zu
zeigen und in allgemeinen Erörterungen zu
begründen. So kam eine natürliche Dreiteilung
zustande. Die Methodik der Unterstufe musste Mineralogie
und Geologie als einen Teil der Naturkunde behandeln.
Für die Mittelstufe waren Mineralogie und Geologie
mit dem chemischen Unterricht in nähere Verbindung
zu bringen. Für die Oberstufe waren die beiden
Wissenschaften als didaktische Einheit in
selbständiger Form darzustellen. Ein anderer grosser
Abschnitt hatte die Hilfsmittel des Unterrichts, ein
weiterer die Vorbildung der Lehrer zu
erörtern.
Es
war vorauszusehen, dass viele methodische Einzelfragen
ein langwieriges Ausprobieren, neue Exkursionen,
umfangreiche Literaturstudien erfordern würden.
Nicht vorauszusehen war mein nervöser Zusammenbruch,
die Sorgen und Nöte des Kriegs, die immer
schwieriger werdenden Verhältnisse des Buchhandels.
Als ich im Spätjahr 1917 mit der Niederschrift zu
Ende gekommen war, lehnte der Verlag ab, das Manuskript
in dem vorliegenden Umfang zu veröffentlichen. Ich
sollte es auf die Hälfte des Umfangs
zusammenstreichen.
Ich
hatte die verabredete Bogenzahl kaum überschritten.
Die anderen Mitarbeiter, deren methodische
Handbücher bereits erschienen waren, hatten sich
keine derartigen Beschränkungen auferlegen
müssen. Eine so einschneidende Kürzung, wie sie
jetzt verlangt wurde, war nicht durchführbar, wenn
ich das Buch nicht vollständig neu schreiben wollte.
Ich weigerte mich, die Änderung vorzunehmen und
schloss das Manuskript in den Schreibtisch ein. Wenn das
Buch auch nicht gedruckt wurde, was lag daran? Dass ich
auch die letzte Aufgabe, die von früher auf mir
lastete, noch bezwungen hatte, musste mir genügen.
Anderthalb
Jahre später hatte ich Gelegenheit, mit dem Verlag
F. Encke in Stuttgart Verhandlungen über Druck des
Buches anzuknüpfen. Das Manuskript wurde
geprüft und nach Durchführung einiger
unwesentlicher Kürzungen vom Verlag übernommen.
Im Frühjahr 1920 war der Druck beendet, am 20.
März lag das erste gebundene Exemplar auf meinem
Schreibtisch. So war die Arbeit doch nicht umsonst
getan.